Daniel Sanin
Das Wesen des
Terrors in seiner subjektiven Ausprägung, also
psychologisch, verstehen zu wollen, wurde besonders nach
dem Nationalsozialismus (NS) zu einer eigentlich
dringlichen Aufgabe, der sich jedoch letztendlich nur
wenige annahmen. Zu diesen gehörten die VertreterInnen
des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, die z.B.
noch im Exil in den USA die berühmten „Studien zum
autoritären Charakter“ durchführten und veröffentlichten.
Jene psychologische Theorie, die zur Erklärung des
Unfassbaren herangezogen wurde und die in der kritischen
Theorie seit deren Anfängen ihren Platz hatte, ist die
Psychoanalyse.
Die
Psychoanalyse ist schon lange fixer Bestandteil
kritischer Gesellschaftstheorien und manche
psychoanalytischen Strömungen beanspruchen, selber eine
solche zu sein. In der Kritik am Bestehenden und am
Leiden an selbigem feiert die Psychoanalyse Triumphe.
Woher kommt nun diese Dominanz psychoanalytischer
Konstrukte und Sichtweisen in den gesellschaftskritischen
Theorien?
Die Entwicklung der Psychoanalyse
ist jedenfalls nicht gleichzusetzen mit der Geburtsstunde
der Psychologie als solcher. Das, was die Psychoanalyse
historisch hervorhebt ist, dass sie die erste
psychologische Subjekttheorie lieferte. Sie thematisierte
als erste das Leiden des (bürgerlichen) Menschen unter
den herrschenden Zuständen, wie dieser Mensch, um sich
in den Bedingungen zurecht zu finden, sich selber unterdrücken
muss und sich die Gesellschaft in das Subjekt einschreibt
und es formt usw. Genau diese Spezialität machte die
Psychoanalyse für die Kritische Theorie attraktiv.
Gleichzeitig gab es von Anfang an (auch marxistische)
Stimmen, die sich gegen diese Liaison aussprachen. Wenn,
um den (Selbstmord-)Terrorismus zu verstehen, die
Psychoanalyse bemüht wird, so birgt das allerdings
einige Fallstricke in sich, die den aufklärerischen
Anspruch in Blendwerk verpuffen lassen.
Eine erste
Problematik liegt in den sich ziemlich diametral gegenüber
liegenden Menschenbildern. Adorno und Marx teilen –
ersterer trotz allem Pessimismus – die grundlegende
Ansicht, dass die menschliche Gesellschaft ihrer Möglichkeit nach eine freie sein könnte, wären bestimmte Prämissen
erfüllt. Diese Vision oder Utopie gibt es bei Freud
nicht. Der Antagonismus zwischen Individuum und
Gesellschaft ist ontisch, unverrückbar, der Natur des menschlichen Seins genuin inhärent. Die
Gesellschaft muss das Individuum unterdrücken,
damit es überhaupt gesellschaftsfähig wird. Würde das Es regieren, hätten wir es mit einer Masse von
grenzenlosen, egoistischen, total lustgesteuerten Wesen
zu tun, die es nicht fertig brächten, in einer Gemeinschaft zu leben. Der Marxismus hingegen sieht Gesellschaft als
die letztlich doch positive Bestimmung des Menschen. Die
Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen und -grundlagen
kann nur kollektiv erreicht werden. Der Mensch ist von
Beginn an ein soziales Wesen und erst im Austausch mit
anderen kann er seine Möglichkeiten entfalten. Für
Freud stürzt uns die Zivilisation nur ins Unglück und
es wäre daher besser zu einem vorzivilisatorischen,
„primitiven“ Zustand zurückzukehren oder noch
besser: diesen niemals verlassen zu haben.
Da Freud
keinen Gesellschaftsbegriff hat, außer jenem einer
absoluten, restriktiven und in diesen Eigenschaften zwingenden,
fehlt auch den Erklärungen subjektiver Handlungen das
gesellschaftskritische Potential. Das zeigt sich natürlich
auch bei jenen späteren psychoanalytisch orientierten
Ansätzen, die sogar explizit gesellschaftskritische
Inhalte abzuhandeln beanspruchen (z.B. antirassistische
Theorien). Es scheint in den psychoanalytischen Erklärungsansätzen
notwendig zu sein, antisemitische oder rassistische
Handlungen aus der Defizienz der ausführenden Subjekte
heraus zu explizieren: die Betreffenden werden
pathologisiert, also in einen krankhaften Bereich
verbannt oder infantilisiert, so z.B. wenn von „regressiven
Bedürfnissen“, „Aktualisierungen kindlicher
Konflikte“ oder von „Adoleszenzkrisen“ etc.
gesprochen wird. Das äußerlich erwachsene Individuum
ist ‘im Inneren’, zumindest für jene Bereiche,
die das ‘Problem’ betreffen, noch Kind bzw.
wird es in Anbetracht bestimmter Situationen bzw.
Konflikte wieder dazu.
Der Gedanke, dass Rassismus als
ein gesellschaftliches Bedeutungsangebot, das sich die
Individuen aneignen, einen gesamtideologischen Zweck erfüllt,
ist solchen Überlegungen fremd. Der Psychologismus,
dass also Ursachen von ‘Problemen’ in den
Tiefen der Person vermutet werden, deren aktuelle Äußerungen
lediglich die Oberfläche bilden, ist also der
Psychoanalyse zweite Krux in ihren Erklärungsansätzen
rassistischer oder antisemitischer Handlungen und
Haltungen.
Die
psychologisierende Erklärungsweise wird unterstützt
durch die Verwechslung der Psychoanalyse als – zunächst
phänomenologischem – Versuch, Subjektivität oder
Psychologisches zu fassen, mit Psychoanalyse als Abbild
der Realität, das sie – wie jedes andere Modell
– nicht sein kann. In der Psychoanalyse ist
ein vehementer Begriffsrealismus am Werk, welcher den
Namen für das Ding ausgibt. Das führt zum Ergebnis,
dass die vielschichtige Komplexität des Psychischen verdinglicht wird: Namen werden auf Etiketten geschrieben, Etiketten
werden angebracht und eine Kartographie erstellt. Das
selbstermächtigende Potential der psychoanalytischen
Begriffe, das z.B. in der Selbst- und Fremderklärung
liegt, wendet sich gegen die Subjekte selbst und hilft
mit, durch Festschreibung das ideologische
Beherrschungsprojekt zu bedienen, das in der Aufklärung
sich hinter dem Auftrag verbirgt, alles durch Wissen zu
durchdringen.
Eine weitere Anziehungskraft der
Psychoanalyse für die marxistisch inspirierten
Gesellschaftstheorien kommt wohl aus ihrem
Spiegelungscharakter der realen Verhältnisse. Das „Unbewusste“,
das so heimlich und autark in uns wirkt, das nur im
Nachhinein anhand der durch „Es“ losgetretenen
Aktionen sichtbar wird, ist die Spiegelung des
uneinsehbaren Zusammenhangs zwischen uns selbst und der
kapitalistischen Gesellschaft. Von beiden Ebenen ist so
zu sagen, dass sie in ihrer Funktionsweise nicht
verstehbar sind, dass die schlechten Zustände, das
scheinbar Irrationale an dem Ganzen, unverstehbar bleibt
und die Einführung einer geheimen Instanz, welche so zu
einem Lückenbüßer wird, eine elegante und praktische Lösung
darstellt.
Die
Psychoanalyse muss somit als ganze selbst kritisiert
werden, um ihr Kritikpotential entfalten zu können. Sie
ist eine zutiefst bourgeoise Wissenschaft, die den Schein
analysiert und ihm zugleich obliegt, da sie ihn nicht
durchschaut. Wenn die Psychoanalyse als Realität
gehandelt wird, wird nur ein Fetisch reproduziert, der
Schein wird zum Sein. Ohne kritische Distanz zu ihren
Begriffen und zum ganzen Konstrukt allgemein erschöpft
sich jede Kritik am Bestehenden in dessen Reproduktion
durch Taschenspielertricks, welche dem langsamen Auge und
dem getäuschten Geist einen Zauber darbieten, wo doch
nur Betrug am Werk ist.